KIEL EXPLODE IX mit ULTHA, FVNERALS, SOUL GRIP, STORM(O), BLCKWVS, ABEST / 22.06.2019 – Kiel, Alte Meierei

Eins der schönsten Festivals Kiels, ach was: überhaupt, findet zum vorletzten Mal statt. Wieder gibt die Crew um Sven und Andre schon im Vorfeld alles, lässt Plakate mit Motiven der Künstlerin Mara Piccione erstellen, plakatiert Kiel, Lübeck, Rendsburg, Flensburg, Hamburg dicht und bucht sechs hervorragende Bands, die soundtechnisch von Ass veredelt werden. Heute gibt’s natürlich nicht nur Musik, sondern auch Plattenstände ohne Ende, Futter vom Veganen Wagen, ca. 1001 Kuchen von Klemsen. einen Antifa/Lila-Bücherstand und natürlich ganz viel Nebel.

Schon früh füllt sich das Areal um die Meierei, viele betreiben Streetboozing, pflanzen sich hippiesk stundenlang zum Sabbeln auffe Straße oder genießen die erwähnten Verpflegungsmöglichkeiten. Alles herrlich? Fast. Denn die hohe Strahlweite des Festivals zieht erstmals (?) auch eine Handvoll Idioten an. Einer der Typen muss unpassenderweise seine tollen Violent Dancing Moves zeigen, labert auf mackerige Weise Besucher*innen an und nervt unterm Strich einfach nur extrem hart. Es ist der großen Toleranz aller Anwesenden geschuldet, dass es hier lediglich bei angewiderten Blicken bleibt.

Dass heute übrigens „nur“ sechs Bands spielen, finde ich gut. Es waren schon mal deutlich mehr in den Vorjahren, was meiner Ansicht nach gar nicht zwingend sein muss. ABEST beginnen den Reigen, ein Göttinger Trio, welches zwischen Post Metal und Hardcore anzusiedeln ist. Ihr letztes Album „Last“ ist auf THIS CHARMING MAN-Records erschienen, was mich schon mal Qualität erhoffen lässt. In der Tat überzeugen ABEST mit schwerverdaulicher und düsterer Kost, die trotz der Tatsache, dass es im Bereich des Post Black Metal, Blackened Hardcore etc. so unfasslich viel Zeug gibt, eine eigene Note besitzt. Kraftvoll und roh pumpt mir der Sound die Backen voll. Gekonnt wird das Tempo variiert und angenehmerweise schmecke ich auch eine Punkkruste heraus. Guter Opener, den sich auch schon viele Besucher*innen reinziehen!

Was hat es eigentlich mit diesem Trend auf sich, die Vokale wegzulassen? Das kann ich als Deutschlehrer nicht gutheißen! Wenn das jede*r machte! Ja, was wär dann! Dnn knnt kn rsch mhr mn Txt vrsthn! Schlmm st ds! BLCKWVS sind bis auf diesen Makel trotzdem super. Sie zocken Instrumental Doom, der laut Jan auf der neuesten Scheibe das Schicksal eines Astronauten vertont, der in ein schwarzes Loch gesogen werde. Kranke Scheiße, aber laut Herrn ML sei dieser Vorgang „klanglich nachvollziehbar dargestellt“ worden. BLCKWVS erzeugen einen mächtigen NEUROSIS-artigen Klang, wobei ein Alleinstellungsmerkmal in dieser Szene ihr Mann an den Synths ist, der diese headbangerweise bedient. Ich sehe die Bielefelder heute zum dritten Mal und stufe diesen Auftritt als den bisher besten davon ein.

Nach derart dichter Atmosphäre tut es gut, die Frisur von einer Hardcore/Punkband durchgefönt zu bekommen. STORM{O} zocken natürlich keinen Hardcore von der Stange, sondern eine sehr explosive Mischung aus irrem Gekreisch (auf Italienisch …glaub ich), vertrackten Rhythmen, Gitarren-Dissonanzen und CONVERGE-Geballer. Das mag man als anstrengend und fordernd empfinden, aber die Songeruptionen klingen durchaus schlüssig und reißen mit. Definitiv die Band mit der meisten Bewegung auf der Bühne heute. Und was bedeutet nun eigentlich der Name mit den auffälligen Klammern? Meine Recherche ergibt: „Their name is derived from the mingle of a dark storm and the word for a flock of black birds, stormo, in Italian. This imaginary union is graphically described by the two brackets that represent the flock of birds, and the letter “o” between the two brackets, representing a drop.“ Da guckt ihr.

“Ja, darf der das?”, fragt mich ein eher weniger Meierei-erfahrener Besucher und meint den nackten Oberkörper des SOUL GRIP-Sängers. Ich hoffe doch. Besser ein Mensch ohne Shirt, der sich korrekt verhält als ein Idiot MIT Shirt, der sich mackerhaft verhält… Ist schon amüsant, was sich die Leute alles über angeblich eherne Regeln und deren Durchsetzung in der Meierei erzählen. So hörte ich neulich von jemandem, der verbreitet, dass alle Bands vor einem Auftritt einer Art Meierei-Komitee ihre Texte vorlegen müssten, welche dann nach intensiver Studie eine Genehmigung erführen oder eben nicht. Exklusiv für diesen Verschwörungsfreund demnächst hier buchbar: das kostenlose Freiraum-Seminar. Zurück zu SOUL GRIP, deren Sänger eh so tätowiert ist, dass er eigentlich recht bekleidet wirkt: Hier gibt‘s Post Black Metal aus Belgien auf die Glocke, der mit Blastbeats und harschen Gitarrenwänden zunächst aufbrausend wirkt, bevor Wechsel zu fragilen Schwebepassagen überraschen und Dynamik aufbauen. Eine weitere beeindruckende Band, bei der vor allem der zwischen Schreien und Aggro-Hardcore-Shouts pendelnde Gesang in Erinnerung bleibt.

Das war alles schon sehr gut, aber am stärksten kriegen mich heute FVNERALS und ULTHA. Das Beste also zum Schluss, das zeugt mal wieder von einer gelungenen Orchestrierung des KIEL EXPLODE. FVNERALS sind ein Duo aus Brüssel, welches sich (zumindest heute) live um einen Drummer verstärkt. Das Gebot heißt: DOOOOOOM! In die Klangwellen, die FVNERALS von der Meiereibühne wabern lassen, kann man sich hineinfallen lassen. Teilweise scheint der klagende Gesang wie aus weiter Ferne zu kommen, als wenn du übern Friedhof latschst und eine Stimme trauern hörst, dann aber um die Ecke gelugt natürlich niemanden siehst. Zäh kriechen die Gitarrenwände uns entgegen, von klassischen Riffs kann nicht gesprochen werden, eher von atmosphärisch aufgeladenen Klangflächen. Tiffanys Gesang klingt traurig, ja schon resignativ, teilweise haucht sie eher, als dass sie singt. Hier wurden die Ideen eines Tony Iommi im SUNN O)))-Sinne weitergedacht. Bei solcher Musik denk ich immer, dass sie außer mir bestimmt kein Mensch gut findet, aber die Meierei ist voll und bleibt voll. Traurig und wunderschön.

Größer könnte der Kontrast nicht sein, als ULTHA losdengeln. Wie 2018 in der Markthalle lässt der basswuchtige Klang die Mauern erzittern, es walzt, knattert und ballert. Die sich langsam aufbauenden Songs besitzen eine hohe Dynamik und epische Melodien. Auf Black Metal typische Raserei und Tremolo-Riffs schalten ULTHA in den Schlürfgang – wer hier nicht headbangen muss, muss ein*e Meister*in der Selbstbeherrschung sein. Die Band hüllt sich in nahezu permanenten Bühnennebel, tritt hinter der Kunst zurück, die sie erschafft. Das ist kein neuer Schachzug, funktioniert hier aber perfekt. Der Sound gehört zum Besten, den ich je in der Meierei vernommen habe, kräftig und transparent walzen und blasten Stücke wie „The Avarist (Eyes Of A Tragedy)“, „Cyanide Lips“, „I’m Afraid To Follow You There“ oder „Fear Lights The Path“ in mein Hirn. Alter, ULTHA!

Das war’s, stelle ich danach überrascht fest. 2020 wird es ein letztes KIEL EXPLODE geben. Black Metal, Kuchen und Liebe!

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