FIRE AND FLAMES-FESTIVAL mit MOSCOW DEATH BRIGADE, PROTESTERA, LES TROIS HUNT, DROWNING DOG AND MALATESTA, WHAT WE FEEL, STUMBLING PINS / 03.10.2015 – Kiel, Alte Meierei

Was für ein Wochenende – von Donnerstag bis Sonntag finden allein in Kiel jeden Tag verlockende Veranstaltungen statt. Besonders verführerisch: Das FIRE & FLAMES-Fest des gleichnamigen Kieler Labels. Zwar ist das musikalische Angebot nur zum Teil mein Ding, aber vegane Leckereien, Filmvorführungen, Redebeiträge, Grafitti Action, Büchertische, Infostände, ein breit aufgestelltes Getränkeangebot inkl. Kobanê-Soli-Schnaps, anarchistischen Slushies oder dem 1312-Pils aus Berlin (mit der extra auffem Etikett aufgeführten Brauzutat CHAOS) und überhaupt ein tolles Rahmenprogramm überzeugen dann doch. Außerdem geht ja so ziemlich jede_r hin…

Der erste Gang führt mich zu Möhres Stand – das vegane Catering wird heute aus einem Wagen heraus feilgeboten, quasi wie auf ’nem Wochenmarkt. Sehr empfehlenswert ist hier dat „Steak in a roll“, kostet zwar 4,50 Euro, hält aber auch bis zum nächsten Morgen vor. Der schmackhafte Happen bleibt mir allerdings wenig später fast im Halse stecken, als ich der Vorführung einer Doku über den Aufbau der russischen Antifa beiwohne. Was die Genoss_innen dort leisten, kann einem nur Respekt abverlangen. Es ist nicht übertrieben formuliert, wenn man davon spricht, dass eine antifaschistische Tätigkeit dort nur unter Lebensgefahr stattfinden kann. Bands wie DISTEMPER, WHAT WE FEEL oder MOSCOW DEATH BRIGADE wurden alle schon mit physischer Gewalt bedroht, diverse Aktivisten ermordet – z.T. am helllichten Tag auf offener Straße. Darüber hat man natürlich schon gehört und gelesen, klar, aber hier werden doch einige Vorfälle auf derart erschütternde Weise dokumentiert, dass die Trigger-Warnung im Veranstaltungsflyer gerechtfertigt erscheint.

Erste Band sind die STUMBLING PINS. Und sie setzen gleich das klare Highlight des Abends, find ich zumindest! Der Sound ist vom ersten Song an verdammt gut – und wird tatsächlich im Verlauf des Auftritts noch besser, drückender und voluminöser. Heute hilft Bocky am Bass aus, was wie erwartet gut funktioniert. Mit Hilfe diverser auf dem Boden verteilter Spickzettel vermag sich Bocky in den Songabläufen zu orientieren. Ich hab die PINS länger nicht live gesehen und finde, dass sie noch etwas besser geworden sind. Schön flotter und eingängiger Punkrock mit tollen Melodien. Tim und Willer sind schon rein optisch Kiels charmantestes Punker-Gitarrenduo. Und was mich sehr begeistert, sind die von beiden gesungenen Parts/Refrains!

Überraschenderweise folgen bereits jetzt WHAT WE FEEL. Man hat die russischen Antifaschisten offenbar bewusst früh im Billing platziert, um notorische Langschläfer früher in die Meierei zu locken. Cleverer Schachzug, der auch gelingt. Es ist nämlich bereits jetzt gut gefüllt. WHAT WE FEEL sind mir ja eigentlich etwas zu sehr im 90er Bollo-Hardcore verhaftet. Hardcore ohne räudigen Punkanteil klingt in meinen Ohren halt generell fade. Aber live kommen die doch wieder sehr wuchtig und kraftvoll rüber, zudem gibt’s ordentlich Action auf der Bühne. Dazu kommt hier natürlich noch die inhaltliche Ebene – wie bereits oben erwähnt hab ich vor dem politischen Engagement der Bandmitglieder und ihrem Umfeld einen Megarespekt. Wenn dann in einem Breakdown auf Deutsch geschrien wird „ZUSAMMEN! GEGEN FASCHISMUS!“, der ganze Mob mitzubrüllen beginnt und sich alle Fäuste nach oben recken, kann man sich einer fetten Gänsehaut nicht entziehen. Mein persönlich schönster Moment folgt aber, als der Sänger mit einer entsprechenden Handbewegung zum Circle Pit aufruft, sich in wenigen Momenten ein heftiger Strudel formiert, ich aus irgendeinem Impuls heraus an meinem Standort verweile und der ganze Reigen mehrere Minuten lang dicht um mich herumtobt. Ein Gefühl wie im Auge des Hurrikans, hehe. Zum Abschluss kommen noch die drei MOSCOW-DEATH-BRIGADE-Sänger in ihren Masken auf die Bühne und performen zusammen mit ihren Kollegen einen Song von der gemeinsamen Split (müsst ihr mit russischem Akzent aussprechen – also Spliiit). Besonders die spektakulären Stagedives der drei Halunken, welche ohne jegliche Rücksicht auf die eigene Unversehrtheit durchgezogen werden (bzw. mit großem Vertrauen in die Auffangkünste des Publikums), sorgen für großes Hallo.

Ich bin nicht mehr ganz sicher, ob der Redebeitrag der Antifa-Koordination in dieser Pause oder etwas später erfolgt. Auf jeden Fall trifft dieser in mehrerer Hinsicht den Nagel auf den Kopf! Es sei zum Beispiel geradezu eine Art neue Form von Patriotismus zu spüren, welche sich in der Art äußere, dass „die Deutschen“ die einzig wahre und beste Willkommenskultur angesichts der „Flüchtlingskrise“ böten. Vor dem Hintergrund, dass durch die Hintertür Europa weiter zur Festung aufgebaut, die Frontex-Mörder noch mehr Mittel erhielten und mit ziemlicher Sicherheit gerade an einer weiteren Deformierung des Asylrechts gearbeitet werde, einfach nur ekelhaft! Ich gebe das jetzt verkürzt und rein aus dem Gedächtnis wieder, würde die Rede aber gern im Originallaut anfügen, wenn ich sie bekommen sollte. (Ergänzung: Rede steht unterm Review.)

’ne Freundin fragt, ob ich jetzt nicht mit in eine Asikneipe kommen wolle, da die nächsten drei Bands alle scheiße seien, haha. Ich entscheide mich dagegen, da ich es grad einfach zu nett hier finde. Aber ganz Unrecht hat sie tatsächlich nicht, obwohl ich PROTESTERA aus dieser Charakterisierung lösen würde.

Aber das italienische Rap-Kollektiv DROWNING DOG AND MALATESTA plätschert in der Tat ohne Effekt an mir vorüber. Wie für alle heute auftretenden Bands/Musiker_innen gilt hier natürlich, dass deren Message und Standing auf offene Ohren stößt. Ich persönlich hab zu diesem Style einfach null Zugang. Macht aber auch erst mal nichts, denn so hat auch mal Zeit zum Sabbeln etc. und muss dabei nicht ständig gegen das Gefühl ankämpfen, etwas zu verpassen.

Aus Grenoble stammen LES TROIS HUNT, sie bieten Singalong Antifa Oi. Kommt aber leider musikalisch plump und schlapp rüber, sodass der obige Aspekt (Sabbeln, Sozialisieren, 1312-Bier genießen…) getrost vertieft werden kann.

Mit den Schwed_innen von PROTESTERA kommt wieder Schwung in die Bude. Denn die bereits seit über 15 Jahren aktiven Freaks tragen ihren Anarchopunk geradezu mit Schaum vorm Mund vor. Du, ich hab Wut, du, ich hab Hass! Das Energielevel von STUMBLING PINS und WHAT WE FEEL wird zwar nicht erreicht, aber die Band kann man immer ma haben.

MOSCOW DEATH BRIGADE bringen den Konzertteil des Abends (man sollte wohl eher von Tag sprechen) zum Abschluss. Tja, der Mob rastet aus, ich finde die Band eher langweilig. Kommt halt bis auf den Gesang alles vom Band, und da greift die universell gültige Regel: kein Schlagzeuger = no Satisfaction! Natürlich, die drei Typen haben es drauf, besonders die eine richtig räudige Stimme sagt mir zu, und logisch, die Texte und Fascho-Bashings gehen voll klar, aber das monotone Gerappe und Konservengerödel kommen doch hart abtörnend.

Ich fühl mich schon fast wie Herb, wenn ich die meisten Bands hier als langweilig abtue, aber versteht mich nicht falsch – ich hab den Abend hemmungslos genossen und bin mir bewusst, dass viele die musikalische Mischung gerade mochten. Immerhin kann ich beim folgenden Reggae-Allnighter direkt an meine Tanzmoves der vorigen Nacht im Hochbunker anzuknüpfen suchen.

So, für alle, die nicht unter einer kurzen Aufmerksamkeitsspanne leiden, hier die Rede. Danke. Wenn jetzt noch jemand Fotos spendiert, wär das auch noch nett.

www.dremufuestias.de

REDEBEITRAG / ANTIFA-KOORDINATION / FF-FESTIVAL / 3.10.2015 KIEL

„Schönen guten Abend liebe Genoss_innen und Freund_innen,

wir feiern uns heute Abend mal wieder selbst, was auch völlig in Ordnung ist, sofern es nicht das einzige bleibt, was wir so tun. Und um genau dieser Gefahr vorzubeugen, wollen wir an dieser Stelle noch ein paar Sätze zu Ereignissen und Entwicklungen verlieren, die wohl nicht nur uns in den zurückliegenden Wochen bewegt und in Bewegung gehalten haben. Und das, so finden wir, sollte ein Festival aushalten, das sich dick antifaschistische Gegenkultur aufs Plakat geschrieben hat!

Denn die letzten Wochen waren für uns als antirassistische Aktivist_innen auch in Kiel von den durchaus absehbaren Entwicklungen geprägt, die im Spätsommer 2015 nun ganz Mittel- und Nordeuropa erreicht haben. Szenarien, die auf einmal nicht mehr mit der Fernbedienung weggezappt werden können, sondern Realität geworden sind auf den Straßen, Bahnsteigen und an den Fährterminals in unserer nächsten Nachbarschaft: Zigtausende Menschen, auf der Flucht vor Krieg, Armut, Hunger, Verfolgung und Unterdrückung in ihren Heimatländern, stehen auf der Suche nach Perspektive nicht mehr nur an der syrischen Grenze, auf Lesbos, Lampedusa oder in Gibraltar, sondern auch in München, Hamburg, Rostock, Lübeck, Flensburg oder eben Kiel. Menschen, ihren verbliebenen Besitz auf den Rücken geschnallt, die sich unter Aufgabe ihrer gesamten materiellen Existenz und dem Einsatz enormer Anstrengungen in unsere Wohlstandsmetropolen durchgekämpft haben. Menschen, die nicht selten erschöpft und gezeichnet von Erlebnissen der Angst, der Gewalt und des Todes sind, mit denen der_die gemeine eingeborene Mitteleuropäer_in wahrscheinlich sein_ihr Leben lang nicht konfrontiert sein wird.

Der mörderische Aufwand, mit dem sich die EU-Staaten von den Verdammten dieser Erde aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, dem Kosovo und vielen anderen Schauplätzen des Elends der Welt mit aller Gewalt abzuschotten versuchten und der Hunderttausenden das Leben kostet: Grenzzäune, militärische Bekämpfung von Boatpeople im Mittelmeer, Einpferchung in Lagern, Registrierung und Abschiebung, konnte die Ankunft derjenigen, die in Europa hoffen ihren Überlebenskampf gewinnen zu können, nur vertagen. Die Hamburger Lampedusa-Gruppe, die seit nunmehr zweieinhalb Jahren einen erbitterten Kampf um Anerkennung in Deutschland führt, war eine Vorhut dessen, was gerade massenhaft geschieht: Das unkontrollierte Überrennen der Grenzen um und in Europa und die Durchsetzung der freien Fahrt von Süd nach Nord. Das System Dublin 3 hat mittlerweile de Facto kapituliert. Zumindest für einige Wochen. Seitdem sich dies seit Anfang des Jahres auch in Deutschland zunehmend bemerkbar machte und sich die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen zusehends erschöpften, weil jahrelang lieber in die militärische Überwachung der Außengrenzen, statt in Wohnraum investiert wurde, wurden auch hier kurzerhand öffentliche und leerstehende Gebäude zu Notunterkünften für Geflüchtete umfunktioniert und Zeltstädte errichtet. Dadurch und noch verstärkend durch mangelnde Verpflegung und hygienische Ausstattung, wurde von den Behörden mancherorts ein Ausnahmezustand inszeniert, der zum gefundenen Fressen für deutsche Rassist_innen aller Art wurde, die sich nun kurzerhand vor den zum Teil improvisierten Behausungen formierten.

Geübt hatten die selbsternannten Verteidiger_innen des Abendlandes in den Monaten zuvor bereits bei den großen und kleinen islamfeindlichen „PEGIDA“- und verwandten Kürzeldemos, die ihren Höhepunkt um die Jahreswende hatten. Hier und bald verstärkt auch wieder vor den Flüchtlingsheimen standen sie in einer schwarz-rot-braunen Front vereint: Nadelstreifen neben Jogginghose, organisiert agierender Neonazi neben „Not in my backyard“-Wohlstandssicherer, besorgte xenophobe Mutter neben frustrierten Nach-Unten-Treter_innen, komplettiert durch die irrationalsten fleischgewordenenen Ausdrücke höchster sozialer Entfremdung. Dort wo man es sich leisten kann mit Anwälten und einstweiligen Verfügungen, in Heidenau als Lynchmob oder in Escheburg mit dem Brandsatz, ging und geht man gegen (geplante) Wohnstätten von Geflüchteten vor. Seit Anfang des Jahres kommt es täglich durchschnittlich zu mindestens einem Anschlag solcher Art. Nicht wenige von uns fühlen sich an die frühen 1990er erinnert, als in Lichtenhagen und anderswo die Häuser von Asylsuchenden und Migrant_innen in Flammen standen.

Worin sich die aktuelle Situation jedoch tatsächlich von Beginn an unterschied, war und ist eine bundesweite Welle der konsequenten Bereitschaft vieler, aktive Alltagssolidarität mit den vielen tausenden Menschen auf der Flucht zu üben. Diese geht weit über das bekannte Spektrum antirassistischer Initiativen einerseits und der Wohlfahrtsverbände andererseits hinaus. Teils überquellende Spendenlager, Willkommensfeste in jeder Kleinstadt, selbstorganisierte Sprachkurse, Unterstützungsnetzwerke bemerkenswerter Reichweite sowie Strukturen, die praktische Fluchthilfe organisieren, sind Zeugen dieser starken, der rassistischen Formierung entgegengesetzten Tendenz, die sich aus ganz verschiedenen Motivationslagen zusammensetzt: Anti-Rassismus, Humanismus, Selbstverständlichkeit, Empathie und ganz sicher auch Hype – zusammengenommen hat sie viele überwältigt und konnte die Unfähigkeit oder den Unwillen staatlicher Strukturen, Refugees mit dem Nötigsten zu versorgen, vielerorts abfedern. Beeindruckend viele Menschen waren in Kiel in den letzten Wochen aktiv daran beteiligt.

Diese breit getragene Solidarität mit Refugees hat die Bundesregierung mit Unterstützung selbst der reaktionärsten Medien in den vergangenen Wochen aufs Schäbigste für ein noch schäbigeres nationales Projekt zu vereinnahmen versucht: Nicht, wie noch Anfang der 1990er, weil der zündelnde rassistische Deutsche sich eingeengt fühlt und nicht mehr unter Kontrolle zu halten ist, sei diesmal das Boot voll, sondern obwohl sich das in der Willkommenskultur geeinigte deutsche Volk so beispiellos offenherzig gezeigt habe, man zusammengerückt und seiner Verantwortung der Welt gegenüber nachgekommen sei, müsse der unkontrollierte Flüchtlingsstrom nun wieder in Bahnen geleitet werden, damit der überforderte Willkommensweltmeister nicht unter der schweren Last zusammenbricht. Die Antwort der großen Koalition auf den durch unterlassene staatliche Hilfeleistungen für Flüchtende inszenierten Ausnahmezustand ist die weitergehende Verstümmelung des Asylrechts und der Ausbau der wackelnden Festung Europa. In dem nun in die Wege geleiteten Einwanderungsgesetz soll Geflüchteten der Aufenthalt in Deutschland auch weiterhin so unattraktiv wie möglich gemacht werden. Die Mittel sind altbekannt: Wiedereinführung der Residenzpflicht, Sachleistungen statt Bargeld, schnellere Abschiebungen, die Erklärung nahezu ganz Europas zu sogenannten sicheren Drittstaaten und die Re-Installation der Abwehranlagen der Außengrenzen nun auch wieder im europäischen Binnenland.

Um klarzustellen, dass wir kein Teil dieser staatlich vereinnahmten Willkommenskultur sind, die als Imagepolitur der BRD dienen soll und ansonsten die Fresse zu halten hat, während das Abschiebe- und Abschottungsregime weiter Massengräber aushebt und in diesem Land wieder Flüchtlingsunterkünfte brennen, werden sich antifaschistische und antirassistische Gruppen morgen mit einem eigenständigen, unmissverständlichen und unversöhnlichen Block an der breiten „Kiel Weltoffen“-Demo beteiligen.

Ein Großteil der flüchtenden Menschen, die sich derzeit ihren Weg in die Staaten der EU bahnen, kommt aus Syrien, dem Irak, Afghanistan oder dem Kosovo. Diese Länder haben gemeinsam, dass sie in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu Schauplätzen von Kriegen geworden sind, die von EU-Staaten und ihren Verbündeten entfacht, oder aber billigend in Kauf genommen bzw. unterstützt worden sind oder immer noch werden. Diese Kriege werden geführt, um die (durchaus heterogenen) geopolitischen Interessen westlicher und anderer imperialistischer Staaten in wirtschaftlich und politisch wichtigen Regionen durchzusetzen. Mit unterschiedlichen Strategien verfolgen insbesondere die NATO-Staaten seit Jahren das Ziel der Neuordnung des Mittleren Ostens: Unbequem gewordene Herrscher, die gestern noch als Verbündete aufgerüstet wurden, werden heute politisch, ökonomisch oder mit unmittelbaren kriegerischen Mitteln abgesetzt oder geschwächt, neue Verbündete als temporäre willige Helfer aufgebaut und eingesetzt, bis der Wind sich erneut dreht. Was häufig als Chaos und Unvermögen erscheint und es manchmal auch ist, ist opportunistisches Kalkül der mächtigsten Staaten der Welt mit der Zielsetzung, ganze Regionen an ihrer eigenständigen Entwicklung zu hindern und so die Waren-, Geld- und Rohstofftransfers mit den kapitalistischen Zentren in der Tradition kolonialistischer Herrschaft aufrecht zu erhalten. Menschenrechtsverletzungen spielen in dieser Gemengelage, entgegen der Kriegspropaganda, nur dann eine Rolle, wenn sie dem jeweils aktuellen Feindbild angelastet und zur ideologischen Konstruktion von Kriegsgründen missbraucht werden können.

Deutschland beteiligte sich 1999 am Angriffskrieg gegen Jugoslawien, um den innereuropäischen Einfluss Russlands in Europa zurückzudrängen. Zwei Jahre später stand Deutschland den USA bei ihrem „Krieg gegen den Terror“ in Afghanistan bedingungslos zur Seite, der Auftakt jener gewaltsamen Umstrukturierung des Mittleren Osten, die die heutigen hoffnungslosen Trümmerfelder herbei gebombt hat. Deutschland unterstützte informell den britisch-amerikanischen Irak-Krieg genauso wie es derzeit Einfluss im syrischen Bürgerkrieg nimmt. In alle Welt liefert Deutschland als drittgrößter Waffenexporteur die Tötungsmaschinerie für das Gemetzel und sichert dem Standort dadurch seinen Reichtum. Kiel ist ein Zentrum dieses blutigen Geschäfts. Es ist also keineswegs eine selbstlose Geste von gastfreundlichen Europäer_innen, wenn hier Geflüchteten Schutz vor Krieg und Verfolgung gewährt wird. Es ist das Recht der zur Flucht Verdammten, jederzeit hierher zu kommen, um sich wenigstens ein kleines Stückchen des Lebens und der Sicherheit zurückzuholen, die ihnen geraubt wurden.

Es steht außer Frage, dass wir – die vielen Menschen, die derzeit Alltagssolidarität organisieren – eine in Anbetracht der Notlage, mit der viele Geflüchtete konfrontiert sind, kaum zu hoch zu bewertende Arbeit leisten. Nichtsdestotrotz dürfen wir dabei nicht vergessen, dass wir gegen Windmühlen kämpfen, wenn die humanitäre Hilfe nicht mit politischem Widerstand verknüpft ist, der zum Angriff auf all das übergeht, was das Elend dieser Welt tagtäglich verursacht.

Wer Geflüchtete willkommen heißen will, muss die Grenzzäune einreißen, die uns daran hindern und das FRONTEX-Menschenjäger_innen-System im Mittelmeer versenken. Wer es unerträglich findet, dass Menschen tagelang an Bahnhöfen und Fährterminals festsitzen, muss durchsetzen, dass jede_r unabhängig irgendwelcher Ausweispapiere, sich zu jeder Zeit und auf jedem Weg dorthin begeben kann, wo es ihm_ihr beliebt. Wer Solidarität ernst meint, muss sich dem Schicksal stellen, was der Flucht von Millionen Menschen nach Europa zugrunde liegt und gegen die deutsche und europäische Kriegspolitik aufbegehren; muss die Waffenproduktion in unseren Vorgärten sabotieren. Wer sich einen respektvollen Umgang mit Geflüchteten ersehnt, muss sich Rassist_innen aller Couleur entgegenstellen, wo immer sie ihr dreckiges Maul aufreißen oder zum Brandsatz greifen; muss das trennende „die“ und „wir“ im eigenen Denken in ein Verhältnis auf Augenhöhe auflösen. Wer geflüchteten Familien einen existenziellen Neuanfang ermöglichen will, kann dies nicht unter schwarz-rot-gelben Fahnen tun, sondern muss sich gegen die restriktive Asylgesetzgebung und mörderische Abschiebepraxis des deutschen Staates stellen. Und wer will, dass das globale Elend aufhört und einem solidarischen Miteinander in Gleichberechtigung und Freiheit, einem angstfreien und würdevollen Leben für alle Menschen weltweit weicht, muss den Bruch mit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung erkämpfen, deren Zwänge uns permanent gegeneinander ausspielen, rassistische und patriarchale Herrschaftsverhältnisse nährt und die die menschlichen Lebensgrundlagen heute dort, morgen hier der Zerstörung preisgeben wird. Es liegt an uns, eine radikale Veränderung der brutalen Verhältnisse auf den Weg zu bringen, gemeinsam – egal auf welchem Flecken dieser Erde unsere Reise irgendwann mal begann.

Um diesem Begehren Ausdruck zu verleihen, rufen wir alle von Euch, die auch dann noch in Kiel verweilen, dazu auf, morgen am antirassistischen und antikapitalistischen Block auf der maßgeblich vom DGB initiierten breiten „Kiel Weltoffen“-Demo zum provisorischen Flüchtlingscamp am Nordmarksportfeld zu beteiligen. Treffpunkt hierfür ist pünktlich um 15 Uhr im Ratsdienergarten am Revolutionsdenkmal. Ansonsten sind wir alle weiterhin dazu aufgefordert, solidarisch zu bleiben mit denjenigen, die auf der Flucht Unterstützung brauchen können. Beteiligt Euch an der Refugee Support-Struktur für Transitflüchtlinge in Kiel, übernehmt Infopoint-Schichten am Bahnhof und den Terminals, bringt Essen und vor allem: bleibt in Bewegung.

Festung Europa zu Fall bringen: Globale Bewegungsfreiheit für alle! Gegen die herrschende Ordnung dieser Welt: Grenzenlose Solidarität gegen Rassismus, Krieg und Kapitalismus! Für einen revolutionären Anti-Rassismus – Revolution Welcome!