Nervöus, Erring Soda, Tall as Trees, Respect My Fist, Ahna / 30.05.2015 – Kiel, Alte Meierei
Mal wieder eine neue Konzertgruppe in der Meierei – Krach AG. Angetreten mit dem Anspruch, Musik und politische Veranstaltungen zu verbinden und nur Bands spielen zu lassen, in der mindestens eine Frau dabei ist. Zu Eröffnung gibt es dann auch gleich das volle Programm: ein Vortrag von Andreas Kemper zum Maskulismus (war leider nicht da…), veganes Kuchenbuffet inklusive Kaffee, Essen für alle Hungrigen und gleich fünf Bands (finden alle gut. Alle? Naja, außer Joyboy, der das Ganze mischen muss…) die, das kann mensch schon vorweg nehmen, alle ihren eigenen Stil hatten.
Es geht dann auch überpünktlich um fünf vor neun mit AHNA los. Schlagzeugerin und Sängerin Anju bedankt sich erst mal artig für die Gastfreundschaft, lobt das Konzept und freut sich schon drauf, den anderen Schlagzeugerinnen beim Spielen zuzuschauen. Vorher aber Ahna. Und das ist schon verdammt gut. Ein intensiver Mix aus wüstem Geballer, Frühneunziger Death Metal und einer guten Dosis Crust. Sehr cool auch der Kontrast aus dem typischen DM-Geröchel von Gitarrist Graham und Anjus schrillem Gekreische. Ohne lange Pausen folgt ein Song dem nächsten, zwar wenig filigran, dafür umso durchschlagskräftiger. Klingt ungefähr so, als würde dir ein wütender Zombie mit einer Keule das Hirn zermatschen. Richtig geiler Auftritt und zumindest mein persönliches Highlight des Abends.
Als nächstes dann Respect My Fist (10/10 Punkten für den Bandnamen!). Klar, könnte einfach irgendwas von Riot Grrrll faseln, was sicherlich nicht falsch wäre, aber den Kern der Sache auch nur ungefähr trifft. Die Berlinerinnen hängen irgendwo zwischen Hardcore und Punk, gehen mit massig Energie zu Werke, haben auch ruhigere Momente, die aber ziemlich düster klingen und schaffen es vor allem, ihre Wut über die bestehenden Verhältnisse adäquat in der Musik umzusetzen. Und sie haben vor allem was zu sagen. So ist ‚Ich Blute‘ ein klasse Song zum Thema Menstruation. ‚Eure Mädchen‘ ist ein Abrechnung mit der Gesamtscheisse des Patriarchats, während ‚Liebeslied‘ fies-cooles Geknüppel mit Röchelgesang ist. RESPECT MY FIST sind halt wirklich ‚Wütend, Überzeugt, Radikal, Tanzbar‘, haben 1a-Ansagen und immer das große Ganze im Blick. Großartig!
Tall as Trees (mit RMF-Bassistin Andrea am Schlagzeug) setzen dann andere Akzente. Waren die ersten beiden Bands wütend und direkt, so gibt es jetzt Screamo zu hören. Und zwar nicht die „totales Brett und Geschrei“-Variante, sondern ganz eher die düstere Variante mit klarer Emokante. Natürlich gibt es auch mal Ausbrüche und aggressiveren Gesang, aber alles in allem klingt das Quintett eher verzweifelt denn aggressiv. Das ist aber kein Kritikpunkt, im Gegenteil, die Band macht ihre Sache verdammt gut, vor allem die Sängerin zieht mit ihrer Intensität die Menge in ihren Bann. Bester Song ist für mich ‚Körper‘, eine Kritik am gängigen gesellschaftlichen Schönheitsideal. Der Rest ist aber nicht schlechter, schöner Gig.
Tja, Erring Soda. Definitiv eine sympathische Band, die auf der Bühne ordentlich Alarm macht, aber ich finde das gesamte Set keinen Zugang zur Band. Ein Kumpel beschreibts zwischen drin als „Schrammelpunk“ (positiv gemeint!), das trifft es aber nur halb. Die Band sagt riot grrrl queercore hc-punk, das trifft es schon eher. Ist auch nicht schlecht und geht teilweise gut nach vorne los, aber wie schon gesagt, mir fehlt der Zugang, sorry. Wahrscheinlich bin ich Trottel einfach zu betrunken…
Muss mensch über Nervöus noch viele Worte verlieren? Eigentlich nicht, wer die Band schon mal live gesehen hat, kennt die Qualitäten der Berliner_innen schon zur Genüge. Auch in der Meierei das gewohnte Bild: Stehlampe, Schlagzeuger, Basser oben auf der Bühne, Gitarristinnen und Sänger davor. Musikalisch ist Screamo angesagt: intensiver Schreigesang, eine grandios treibende Rhythmusabteilung (geile Basslinien!) und dazu eine Gitarrenwand zwischen düsteren Harmonien und Melodien und treibenden Riffs. Ergibt eine Mischung, die einen vom ersten Moment in den Bann zieht und nicht mehr los lässt. So soll Screamo sein: dunkel, verzweifelt, brutal, mit Platz für die Ruhe vor der Sturm. Was heute wieder auffällt: die Band ist live auch deswegen so gut, weil hier alles sitzt. Jeder Einsatz kommt punktgenau, das ganze entwickelt einen richtigen Flow und reißt alle mit. Mensch kann der Band quasi dabei zugucken, wie sie sich in einen Rausch spielt. Das es keine Zugabe gibt, ist demnach konsequent,die Band hat alles gesagt, was zu sagen war. Der mehr als großartige Abschluss eines sehr schönen Abends!
Obwohl, danach ist noch nicht ganz Schluss, JoyBoy gräbt in seiner Schäbi-Achtziger-Kiste und lädt zum Tanzen, eine Einladung, die ich natürlich entrüstet ausschlage, aber doch von einigen Menschen angenommen wird. Fragt also die anderen, wie der Rest des Abends war….