Ein eigenständiges Extrem

ISKRA, Ahna / 04.10.2012 – Kiel, Alte Meierei

Einen Aspekt finde ich am Dasein als Underground-Musiknerd besonders interessant. Die Vorstellung, irgendwann ALLES zu kennen, ist eine Illusion. Egal, wie tief du dich in den Sumpf des Untergrunds wühlst, wie viele Fanzines du liest, wie viele Konzerte du besuchst oder mit wie vielen Freaks du befreundet bist, die dir fast täglich von neuen Obskuritäten berichten, du wirst doch eines Tages wieder in einem dunklen AZ stehen und von einer Band weggeblasen werden, von der du NOCH NIE ZUVOR gelesen oder gehört hast. Und die natürlich schon seit 10 Jahren existiert und zahlreiche Tonträger veröffentlicht hat. Danke an die Destructioncrew für diesen Abend, der das wieder bestätigt.

Bereits Ahna klingen anders als der Rest. Haben die ihre halbe Besetzung auf der Raste vergessen? Ein Blick ins Inlay der später abgeernteten Scheibe zeigt: Nein, die sind tatsächlich immer zu zweit. Eine Schlagzeugerin und ein Bassist reichen aus, um ein akustisches Bild des siebten Zirkels der Hölle zu vermitteln. Beide malträtieren manisch ihre Musikinstrumente und krächzen/grunzen/kreischen dazu in ihre Mikros. Insgesamt sehr noisig, obwohl die in der Ankündigung der Destruktionskonzertgruppe verwendeten Elemente Dronedoom und Crust ebenfalls auszumachen sind. Textlich geht es bei den Kanadier_innen offenbar u.a. um die Auswirkungen von Kolonialismus und Imperialismus: „With bright eyes you look upon their land / with big dreams forming in your head / with no thought for his life, for her rights, for their futures / you slaughter, murder for your children, their futures. / LIES / Liar. Empire.” (“Empire”)

ISKRA kommen ebenfalls aus Kanada und sind zwischen September und November mit AHNA auf ausgedehnter Eurotour (45 Auftritte in vierzehn Ländern). Ihre Mixtur aus skandinavischem Black Metal der zweiten Generation mit englischem early Crust ist absolut unwiderstehlich. Ich ertappe mich beim Schreiben gerade selbst dabei, wie ich abgelutschte Begriffe wie „heftig“, „intensiv“ oder „brutal“ zu umgehen suche, denn die Band stellt ein derart eigenständiges Extrem dar, dass Worte ihr nur schwerlich gerecht werden können. Der Schlagzeuger reitet galant auf seinem Set, was mich irgendwie an den Timm von ENDSTILLE erinnert. Das Tempo ist fast durchgängig immens, dabei wird aber auch bei Blastpassagen stets präzise agiert, was in Verbindung mit den peitschenden Riffs und dem infernalischen Gekotze der Sängerin Danni zu einer fassungslos machenden Gesamthärte führt. Und das Beste: ISKRA bezeichnen sich als Anarchist Crust/Metalband – sie haben keine dümmlichen antikosmischen Bullshittexte, sondern beziehen sich auf historische, soziale und politische Hintergründe. In den Platten finden sich seitenlange Kommentare und Erklärungen zu Texten wie „Within The Black“ (über tote Zonen in den Ozeanen durch chemische Dünger und Abwässer), „Kronstadt“ (über die Niederschlagung des Kronstädter Matrosenaufstandes durch die Rote Armee 1921) oder „Wie alles anfing“ (über die gleichnamige Autobiographie Bommi Baumanns aus der „Bewegung 2. Juni“). Nun könnten Schlaumeier_innen wieder lamentieren, dass man bei diesem Gesangsstil ja gerade live kein Wort verstehe, aber dazu sind eben live entsprechende Ansagen und beim Plattenhören die Texte da – ich finde es gerade faszinierend, dass man bei Danni durchaus jedes Wort gut heraushören kann, vorausgesetzt natürlich, man liest eben die Texte mit. Es ist übrigens recht gut besucht für ein derartiges Konzert und ich habe den Eindruck, dass alle Anwesenden angetan sind. Zum Abschluss zocken ISKRA passend zu Dannis Shirt tatächlich ein IMMORTAL-Cover von „Cursed Realms Of The Winterdemons“. Humor hamse also auch noch, perfekt.

Diese Eindrücke gilt es erst mal zu verarbeiten, da muss man erst mal runterkommen, was uns dann schließlich in der gewohnten gechillten Atmosphäre des Gaardener Bierclubs dann irgendwann auch gelingt….

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