No Rest und TamutAmen / 22.05.2012 – Kiel, Alte Meierei
Pech: Da hatte ich mein Rad noch in der Nacht repariert (beide Reifen platt), als ich aber zurück aus der Schule wieder am Bahnhof ankomme, ist der hintere Reifen schon wieder im Arsch. Also vom Bahnhof bis in die Holtenauer Straße schieben! Und da heute die Busse streiken, ich keinem Taxifahrer das potentiell in Vinyl umsetzbare Geld in den Rachen schleudern will, gehe ich halt zu Fuß inne Meierei. Dauert fast eine Stunde, aber da ich ständig unterwegs Leute treffe, verläuft der Marsch kurzweilig. Das hätt ich jetzt nicht für jede Band auf mich genommen, aber die Brasilianer_innen No Rest waren das letzte Mal vor elf Jahren hier und TamutAmen kommen immerhin aus Israel – dafür geh ich gern ein paar Minuten.
Sieht offenbar nicht jede/r so. Der Busstreik lässt heute einige vor dem heimischen Plattenspieler verweilen. Mehr als 20 Leute finden sich nicht ein. Aber die erleben ein hervorragendes Konzert!
TAMUTAMEN lassen vom Fleck weg Münder offen stehen. Metal, aber auf die unorthodoxe Art. Ich bin mit einigen Israelis befreundet, jahrelang hörte man, dass die Szene eher Mittelmaß zu bieten hat. Das hat sich bekanntlich in den letzten Jahren geändert! Nach SONNE ADAM, PROMISCUITY usw. nun eine weitere Knallerband, die aus Mitgliedern von MONDO GECKO und TEA WITH SATAN besteht! Der Schlagzeuger ist unfassbar gut und spielt mit enormer Wucht, dabei ungewöhnliche Patterns, die aber immer zu den gestörten Riffs passen. Die ganze Band ist in priesterähnliche Roben gehüllt, welche dem Ganzen ‘nen anonymes und irgendwie mystisches Flair geben. Erwähnte Riffs bratzen gut, weisen aber auch unheilige Melodien vor, die man dem Black Metal zuordnen könnte. Es gibt durchaus auch straighte Ballerpassagen und schön heftigen Gesang. Der Mob (das Möbchen) spendet mit jedem Stück mehr Applaus und will die Band am Ende am liebsten gar nicht mehr gehen lassen. Aber wir sind zu wenige, und die Musiker können bestimmt alle Krav Maga… Außerdem kann man zu Hause weiterhören: EXTREME KAUFEMPFEHLUNG für die 7“ „Tamutamenkind“, welche fünf dieser geilen Blackened Hardcore-Stücke enthält und herrlich aufgemacht ist (drei Vinylfarben, sehr schönes Artwork, Klappcover, Texte in Englisch und Hebräisch, Patch, Poster und mehrere Aufkleber).
NO REST waren wie erwähnt schon einmal hier – ein Konzert, welches ich als überragend im Gedächtnis behalten habe. Leider sind von den damaligen Besucher_innen offenbar nur Fussel, Bocky und ich gekommen. Damals kam es zu einem Übergriff seitens eines Besuchers, welcher der Sängerin während des Auftritts zwischen die Beine gegriffen hat. Der Typ wurde sofort rausgeboxt und hat sich wohl damals mit den Worten entschuldigt, dass er gedacht habe, die Sängerin sei ein Mann (…). Berechtigterweise hat dieser Mensch noch heute keine Erlaubnis, die Meierei zu betreten. NO REST legen genau so los wie 2001 – wilder, entfesselter Anarcho-Hardcore/Punk. Die Sängerin steht keine Sekunde still und schreibrüllkreischt sich all ihre Wut von der Seele. Zwischen den Stücken Ansagen gegen Sexismus und über die Freude, wieder hier zu sein. NO REST als totales Gebretter zu beschreiben, wäre nicht ganz richtig. Das passt zwar auf einige Stücke, aber insgesamt bringen die Brasilianer_innen viele Tempovariationen, dudeln zwar nicht rum, aber haben es drauf, abwechslungsreiche Stücke zu schreiben. Und wie angedeutet ist der Gesang ebenso vielfältig – brutale Grunzer, geflüsterte und gesprochene Passagen, einprägsame, eher „gesungene“ Gesangslinien. Alles energiegeladen und in einer selbstverständlichen, nicht aufgesetzten Art rausgehauen.
Zwei außergewöhnliche Bands – beide noch jeweils auf Tour (heute Flensburg), TamutAmen spielen z.B. noch in Gießen, Bonn, Köln, Leipzig und Berlin. Wer die Chance hat, sollte sie nutzen.