Kiel – Ganz Kiel ist ein kapitalistischer Konsumtempel kommerzieller Kultur. Ganz Kiel? Nein, da gibt es ein kleines „gallisches Dorf“ im Hornheimer Weg, das seit 25 Jahren Widerstand leistet und diese Beharrlichkeit für ein selbstbestimmtes Leben und nicht-kommerzielle (Gegen-) Kultur jetzt an vier Festtagen feiert.
Im August 1983, kurz nach der Räumung der besetzten Häuser im Sophienblatt, zogen 16 Menschen aus dem Sophienblatt in die Alte Meierei um, neben Merhaba in der Harmsstraße und der Alten Sattlerei in Friedrichsort eines der von der Stadt zur Verfügung gestellten Ausweichquartiere. Während Merhaba und Sattlerei schon Anfang der 90er dem Zugang zum Einkaufszentrum Sophienhof beziehungsweise einem Parkplatz weichen mussten, ist die Alte Meierei trotz diverser Konflikte mit der Stadt und Angriffen von Neonazis geblieben. Das auf vielen Demos kampferprobte Transparent „Alte Meierei bleibt! Basta!“ ist schon ein bisschen angestaubt, aber wenn drei „Veteranen“ und zwei der „neuen Meierei-Generation“ zusammen sitzen, dann wird auch im Rückblick heftig diskutiert, wie der richtige Weg zu selbstbestimmtem Leben und Kultur aussieht.
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„Kultur war Grundlage, nicht Zweck“. Fotos Peter
„Wir sind damals angetreten gegen den Kapitalismus, gegen Wohnungsspekulanten und eine unmenschliche Stadtentwicklung, für eine revolutionäre Perspektive“, erzählt Mathias, der 1980 die Sophienblatt-Häuser mit besetzte. Mit deren Abriss schien dieser Kampf schon verloren. „Doch später, bei Tschernobyl und Golf-Krieg, als Zehntausende auf der Straße waren, wussten wir, was wir auch gerettet hatten.“ Etwas, das heute fast antiquiert anmutet, aber immer noch aktuell ist: der revolutionäre Kampf für einen gesellschaftlichen Wandel.
Doch vor der Revolution kam erstmal die Renovierung – „und die dauert eigentlich bis heute an“, wissen Gunda und Olaf von der Konzertgruppe „Rebeltí@s musicales“. „Das war wie ein Zeltlager“, erinnern sich Edina und Michael an die rund 40 Leute, die anfangs im Saal der Meierei hausten, der 1983 in Kiel – abgesehen von der Ostseehalle – der größte Veranstaltungsraum seit Schließung des Ball Pompös (heute MAX) war. Doch an eine lebendige Kulturszene und Konzerte wie im Sophienblatt war noch nicht zu denken. Überhaupt war der Kulturbegriff ein völlig anderer. „Kultur war damals nichts vom Leben Abgetrenntes, sondern selbstverständlicher Ausdruck desselben“, so Edina. Sie fand als Szene im öffentlichen Raum statt, „aber der wurde uns zunehmend genommen“. „Kultur war Grundlage, nicht Zweck“, ergänzt Mathias. Auch mit dem Begriff „Subkultur“ lasse sich das nicht treffend beschreiben, „weil es damals nicht wie heute mehrere, von einander isolierte Subkulturen gab, sondern eine Jugend- und Gegenkultur – in freilich verschiedenen Schattierungen“. Worauf sich die Meierei-Leute von damals und heute einigen können: Dass es um eine nicht-kommerzielle Kultur und die Möglichkeit geht, diese abseits von kapitalistischen Verwertungsinteressen zu präsentieren. Deshalb habe man auch nie Geld von der Stadt haben wollen, außer für Renovierung und Erhalt des Hauses. „Wir wollen unabhängig sein von staatlicher Einflussnahme, wir wollen nicht den Weg gehen wie etwa die Hansa48.“
Wie weit man die Selbstbestimmtheit „aus taktischen Gründen“ aufgeben kann, etwa um eine Konzession zu bekommen, die den weiteren Konzertbetrieb ermöglichen würde, darüber wird im Meierei-Plenum nach wie vor gestritten. Andere Auseinandersetzungen mit der Stadt, „die uns immer Steine in den Weg legte“, hat man überstanden. 2003 drohte das erste Mal die Schließung des Veranstaltungsbereichs wegen fehlenden Schall- und Brandschutzes. 2005 folgte der „18-Punkte-Plan“ des grünen Stadtbaurats Peter Todeskino, eine Forderungsliste, die mit einer „Bauwoche, die zu einem Bauhalbjahr wurde“, nur teils erfüllt werden konnte. Die Meierei schuf mit Aktionen wie „Let there be Rock!“ Öffentlichkeit und nahm im Juni 2006 den Konzertbetrieb nach fast einem Jahr Zwangspause und „Exilkonzerten“ in Hansa48 und Pumpe wieder auf, mehr oder minder geduldet von der Stadt.
„Wenn der Laden stirbt, sterben auch die Leute weg“, erinnert sich Olaf an die Krisenzeiten. Indes habe die Mobilisierung vor drei Jahren einen „Aktivierungsschub“ an „Buntheit“ und Öffnung der Subkultur(en) gebracht. Rebeltí@as hat sich bewusst auf die Fahnen geschrieben, ein über Punk hinaus gehendes Musikprogramm anzubieten. Dabei setzt die Meierei immer noch „Trends“, wenn auch das Wort den „Veteranen“ „zu kapitalistisch“ klingt. Wie schon 1987, als nach fast vier Jahren Renovierungsarbeiten die Meierei-Konzerte die Kieler Musiklandschaft revolutionierten. Osteuropäische Bands wie die Russen Aktyon waren erstmals im Westen in Kiel zu hören. Die britischen Politpunker Chumbawamba waren schon in Kiel, bevor sie der Kommerz einholte. „Die Veranstalter aus Hansa und Co. haben sich bei uns Ideen geholt“, erinnert sich Edina.
„Die Stärke der Meierei ist die Vielfalt des Nebeneinanders“, resümiert Olaf. Und Gunda bringt die Strategie des „kleinen gallischen Dorfs“ auf den Punkt: „Das ist nicht Subkultur, nicht Kultur, die mich beherrscht, sondern das, was ich bin und lebe.“ 25 Jahre „richtiges Leben im falschen“, von dessen nicht nur renovierter, sondern immer noch revolutionärer Lebendigkeit man sich bei den Festtagen überzeugen kann.
Von Jörg Meyer