Behind Enemy Lines, Brigada Flores Magon, In Iratus, Alert / 02.11.07 – Kiel, Alte Meierei
Erstma Zahlen und Superlative: In den über 20 Jahren, in denen ich Konzis inner Meierei gesehen habe, rangiert das Konz der Abrissbirne Behind Enemy Lines (Pittsburgh) 2005 auf einem der vordersten Plätze in den fiktiven All-Time-Charts denkwürdiger Ereignisse. Kein Scheiß! Seitdem haben die Amis mit „One Nation Under The Iron Fist Of God“ eine Platte veröffentlicht, die wohl ebenso wie der Vorgänger „The Global Cannibal“ als Klassiker in die Hardcore-Geschichte eingehen wird (obwohl das Ding in meinen Augen ein wenig schwächer ausgefallen ist).
Elektrisierend somit die Ankündigung, BEL würden sich demnächst auf eine erneute Tour begeben und Halt im ollen Kiel machen. Das sahen offenbar auch andere so – es lag richtige Happening-Stimmung in der Luft, die Meierei platzte aus allen Nähten. Nach zahlreichen Hardcore-Konzis mit „kleiner Bühne“ auf dem Boden und überschaubarer Menge war das auch mal wieder nett. Und da ich in den Ferien zwei Wochen weg gewesen war, war der Bedarf an Kommunikation gar nicht ausreichend zu bewältigen…. Irgendwie hatte ich danach das unbefriedigende Gefühl, mit den ganzen Bekannten viel zu wenig geschnackt zu haben.
Als erste Band gab es Alert, auf die ich doch recht gespannt war, denn so langsam brauchen wir ein paar neue Hardcore/Punk-Bands in Kiel, find ich. Und genau das sind ALERT – hervorgegangen aus NO REGRETS. ALERT klangen im Vergleich deutlich melodischer, Parallelen zu Klamotten wie ANTI-FLAG, RANCID oder 7 SECONDS kam wohl jedem/jeder Besucher/in in den Sinn. Sehr eingängig, sehr tanz bar UND sehr politisch. Erfreulicherweise gab es fast zu jedem Song Infos über deren Inhalte und freundliche, aber bestimmte Aufforderungen die Ärsche hochzubekommen (z.B. zur 8. antispeziesistischen Norddemo am 17.11. in Hamburg zu kommen). Der Gitarrist zuckte wie von Stromstößen getrieben auf der Bühne herum, der Mob reagierte bereits ausgelassen und spendete reichlich Sympathiebekundungen.
Noch besser fand ich gar In Iratus, denn die Bremer knüppelten ein angenehm rohes Hardcore-Brett. Der Sänger brüllte uns deutsche Texte in die Fratzen, deren Hintergründe offenbar Gefühle wie Wut, Trauer, Verzweiflung oder blanke Misanthropie waren: „Gewollt- gemacht / Geboren- belichtet / Getrimmt- erzogen / Verbraucht- vernichtet / Dann hast du früh den Tag gesehen / Noch schleimverschmiert in den Kindergarten / Wird gefragt was willst du werden / Wie bedeutend willst du sterben“ („Plastikspaten“). Insgesamt also sowohl musikalisch als auch inhaltlich schonungslos brutal.
Jetzt hatte ich mich eigentlich bereits auf BEHIND ENEMY LINES eingestellt und gefreut, doch die Franzosen Brigada Flores Magon spielten vorher. Die waren zwar nicht wirklich schlecht, gingen mir persönlich aber doch mit ihrer sehr zudringlichen Animation auf die Nerven. Ständig wurde das Publikum zu „Alerta Antifascista“-Sprechchören aufgefordert und auch die Songs waren auf Mitsing-O-ho-hos ausgelegt. Ersteres kann natürlich auch mal geil sein (das politische Engagement selbstverständlich klasse), war mir persönlich aber einfach zu viel heute und zu penetrant. Die Mucke war sehr melodisch und galoppierte auch mal in Reggae- und Ska-Gefilde. Also auch nicht soo mein Ding. Außerdem spielte die Band EWIG. Ich war vielleicht einfach ungeduldig, weil ich halt mit den Füßen scharrte, um endlich die Pittsburgher zu sehen, daher zog sich der Auftritt von BRIGADA in die Länge wie ein ausgelutschtes Kaugummi. An einem anderen Tag unter anderen Umständen hätte es mir möglicherweise besser gefallen. Oder auch nicht…
Nun, endlich war es soweit und BEHIND ENEMY LINES böllerten los. Die Qualität des mitreißenden Auftritts von 2005 konnte nicht ganz erreicht werden, was aber nur am etwas mumpfigen Sound lag Die Band an sich zockte entfesselt auf und konnte sich auf die geradezu hypnotische Wirkung ihrer Songs verlassen: Ein Merkmal von BEHIND ENEMY LINES ist ja, dass die Stücke ungewöhnlich textlastig sind und Sänger Dave sowie Drummer Matt im stetigen Wechsel eine Zeile nach der anderen ins Mikro brüllen. Die Stimme von Dave ist dabei derart markant, dass man BEHIND ENEMY LINES unter Tausenden Bands SOFORT heraushört. Dazu diese treibenden Riffs und peitschenden Drums – keine Ahnung, wie man dazu stillstehen kann. Tatsächlich rastete das Publikum nicht so heftig ab, wie sonst bei dieser Band gewohnt, aber die Luft war auch mittlerweile zum Schneiden und die Leute bei dieser vierten Band zum Teil etwas ausgepowert. Was aber nicht heißen soll, dass die Band nur apathisch angeglotzt wurde, da wurde durchaus gepflegt abgeslammt, im Kreis gewetzt und hemmungslos die Rübe geschüttelt. Dave stützte sich aufgrund seines kaputten Beins auf seine Krücke (ist natürlich eigentlich scheiße mit dem Bein, aber irgendwie kommt das optisch krass rüber – Käptain Ahab ist zurück und wird euch alle kriegen!). Der Drummer Matt prügelte auf sein Schlagzeug ein, dass es eine barbarische Freude war. Totales Highlight war für mich „Self-Inflicted Extinction“ mit dem Anfangsschei „THE HUMAN RACE IS COMMITTING SELF-INFLICTED EXTINCTION“ und diesem unglaublichen Riff. Hammer auch „Her Body – Her Decision?“, welches Bassistin Mary (im Randy Rhoads-Shirt) noch zusätzlich mit verzweifelt klingenden Schreien versah. Man bedachte alle drei Platten in der Playlist, weitere Höhepunkte für mich „Why Does She Stay?“ und „Shoot The Looters“ (“In the wake of the storm they criminalize the survivors“). Normalerweise sabbel ich Bands nach einem Auftritt nicht zu – find ich aufdringlich – aber überraschenderweise sprachen die BEL-Typen einen danach an und hatten noch Gesichter und z.T. Namen vom Gig vor zwei Jahren (!) im Kopp – wirklich sehr angenehme Zeitgenossen, mit denen sich noch entspannt plauschen ließ. Freu mich jetzt schon aufs nächste Mal und würd am liebsten heute nach Schweden zum Punk Illegal-Fest, wo die u.a. mit WOLFBRIGADE, VICTIMS, UNCURBED… spielen – aaahhh.