Noise Forest und ManMade / 27.01.07 – Alte Meierei
So ein KN-Macker namens J. Ulrich schrieb neulich in einer Kolumne folgende weise Worte: „Sudoku spielt in einem geschlossenem System, in dem es eine einzige Lösung gibt. Leben bedeutet, in einem offenen System neue Möglichkeiten zu suchen, ohne zu wissen, ob es die richtigen sein werden. Sudoku zu spielen bedeutet, sich der Illusion hinzugeben, es gebe für alles eine Lösung, Leben heißt zu wissen, es gibt keine.“ (KN #23/07). Mal ganz davon abgesehen, dass ich mich noch nie an Sudoku versucht habe, fand ich diese Definition von „Leben“ ziemlich treffend und irgendwie trifft sie auf die Bands dieses Abends zu.
Richtig heiß war ich schon vorweg auf ManMade, ohne von denen auch nur einen einzigen Ton gehört zu haben. Aber wenn mit Ulf Kaiser und Stefan Römhild an den Gitarren sowie Chris Zenk am Gesang drei Fünftel des EROSION-Line-Ups der gigantischen „Mortal Agony“-LP (1988) dabei sind, dann bildet sich automatisch eine gewisse Erwartungshaltung. Mit Carsten von u.a. Emils ist ein weiteres bekanntes Gesicht in der Band, die von der Bassistin Milena komplettiert wird. Also mal zur Abwechslung PÜNKTLICH losgegangen um rechtzeitig inner Meierei einzutreffen, wo man gespannt der Dinge harrte, die da kommen sollten. Gleich beim ersten Song von ManMade wusste ich, dass es heute nur noch geil werden würde – ManMade agieren im Vergleich zu EROSION (und der Vergleich muss einfach gezogen werden) definitiv straighter und haben vielleicht noch mehr Hardcore im Blut, wobei ein großer Anteil Thrash Metal ebenfalls mitpulsiert und das Ganze einen rotglühenden, schwitzenden Wutklumpen bildet. Über der gnadenlos tight gespielten Mucke tönt das Monsterorgan von Zenk, dessen Kraft und Ausdrucksstärke mich zeitlos fasziniert. Argh, so intensiv! Hier wird nicht einfach nur geschrieen oder gebrüllt, in dieser Stimme erklingen Wut und Verzweiflung angesichts einer abgefuckten Realität. Nur konsequent, dass da z.B. ein Songtitel „25 kg“ lautet (das Gewicht, welches zahlreiche KZ-Opfer nach ihrer Befreiung auf die Waage brachten!), andere Stücke heißen „Ocean Of Blood“, „Warlords“ oder „The Faces Of War“. Der gesamte Auftritt hatte ordentlich Dampf, Zenk tigerte vor der Bühne hin und her, unterstützt von einem überdurchschnittlich guten Sound kamen die Songs mit enormer Wucht und Durchschlagskraft gekracht. Ein gelungener Kontrast zu Zenks Gesang war die Stimme der Bassistin, die zwischendurch einige Passagen einstreute. Fazit also: Ganz klar ganz weit vorne, mit das beste, was ich je von einer deutschen Band gehört habe. Punkt!
Wenig später Bühne frei für Noise Forest, die als älteste Kieler Band (seit ’92 aktiv) hier in den Dremu-Reviews schon eine Art Stammplatz haben. Wieder mal war’s unglaublich, dass diese Band live wirklich IMMER einen Klassesound hat, was natürlich mit u.a. mit sehr gutem Zusammenspiel zu erklären ist. Die feiste Klangwand waberte und versetzte meinen Körper in Schwingungen, die ich auch ohne Gehör genossen hätte, alles groovte, donnerte und krachte. Irgendwie schien heute ein Zacken mehr Biss in dem Auftritt zu liegen, möglicherweise bedingt durch die ungewisse Zukunft der Band (aber wessen Zukunft ist schon gewiss – s.o.). Ich musste an frühere Phasen ihres Schaffens zurückdenken – von den Anfängen noch mit Sascha Chefke am Gesang über die sperrigen Sludge-Einflüsse mit nahezu publikumsfeindlicher Verweigerungshaltung auch nur im Ansatz Entertainment zu bieten bis hin zu Bassist Boris’ Einstieg und dem deutlich zugängigeren Material. „Morbid Instincts“ und „Zero Existence“ sind mittlerweile der kreative Spiegel der Band und präsentieren eine fies groovende Death Metal-Walze zwischen BOLT THROWER und späten SEPULTURA. Hardcore-Einflüsse konnte ich auch heute kaum ausmachen, am ehesten in schnelleren Stücken wie „Be At Peace“ oder „State Control“, die heute ganz zum Schluss gespielt wurden und beim Meierei-Mob die heftigsten Reaktionen hervorriefen. Ich sach an dieser Stelle vielen Dank an Noise Forest für ihr gesamtes Schaffen und verneige mich respektvoll.