Kiel – Es gibt Jubiläen, da klingen allenfalls die Lobreden noch lauter als die Sektgläser. Und es gibt solche, die sang- und klanglos vorüberziehen. Gerade so, als ob es den am ursprünglichen Anlass Beteiligten peinlich sei, dabei gewesen zu sein. Morgen ist so ein leises, fast heimliches Jubiläum: Genau 25 Jahre ist es dann her, dass in Kiel das erste Haus besetzt wurde. Ach ja, da war doch was.
Wohnungsnot und fortschreitender Verlust historischer Bausubstanz kennzeichneten in den frühen 80er-Jahren die Situation in Kiel. Am 4. Dezember 1980 wurde vor diesem Hintergrund im Sophienblatt das erste Haus besetzt. Foto JKK
Manfred Lang sitzt in der Kneipe der Hansastraße 48 und kratzt sich am Kopf. Zwar ist „sein“ Haus erst im März 1981 besetzt worden, doch die Szene war damals überschaubar genug, dass man sich kannte. Und nicht nur das. Man demonstrierte füreinander, half sich mit Arbeitseinsätzen gegenseitig aus, ließ sich sogar wegen Widerstands bei einer Zwangsräumung in polizeiliches Gewahrsam nehmen. Manfred Lang hat all das mitgemacht, nachdem am 4. Dezember 1980 ein Mix aus Mietern und Sympathisanten ein Haus im Sophienblatt besetzte, um es vor dem Abriss zu bewahren.
„Es war eine Aufbruchstimmung in der Alternativbewegung“, erinnert sich der heute 50-Jährige und erzählt von allerlei schillernden Versuchen, anders zu wohnen und zu arbeiten. Und vom ideologischen Grundkonsens der Linken: Man war gegen Atomkraft, für Emanzipation, geißelte die kapitalistische Profitgier und trank Rotwein aus Flaschen, in die man später Kerzen steckte.
Ideologisch gesehen war das Haus im Sophienblatt ein Glücksfall für die Szene. Ein Altbau, der einem Einkaufszentrum weichen sollte, und das in einer Stadt, die kriegsbedingt dürftigst mit historischer Gebäudesubstanz bestückt war – trefflicher ließ sich Protest nicht begründen.
Auch wenn der Häuserkampf im Sophienblatt bei Lichte betrachtet möglicherweise weit weniger heroisch war, als sich das alles anhört. „Die Gebäude sahen wirklich grausam aus“, schaudert sich noch heute Polizeisprecher Uwe Voigt, der kein bisschen bedauert, dass an dieser erinnerungsträchtigen Stätte jetzt der Sophienhof steht. Vogt stand damals als junger Beamter auf der anderen Seite und fand diese Ära überhaupt ziemlich gräuslich. Auf Demonstrationen oder gar Zwangsräumungen sei man damals nicht im Geringsten vorbereitet gewesen, „so etwas kam in der Ausbildung überhaupt nicht vor.“ Entsprechend unbeholfen ging die Staatsgewalt bisweilen zuwerke und heizte damit die Situation unfreiwillig auf.
Was man den Vertretern der Stadt nicht unbedingt vorwerfen kann. „Wir haben mit denen immer geredet“, betont Hans Mehrens, der als Chef des Liegenschaftsamtes gemeinsam mit dem damaligen Ordnungsdezernenten und heutigen SPD-Landesvorsitzenden Claus Möller die größte Reizfigur für die Szene war. Hausbesetzer statteten Mehrens sogar nächtliche Besuche in dessen Privathaus ab und drohten: „Dann wohnen wir halt bei dir.“ Wohnen durften sie nicht, aber rein durften sie. Und so saß man in Mehrens‘ Wohnzimmer und diskutierte darüber, was zu tun sei.
„Wir bleiben drin!“, verkündeten trotzig die Besetzer auf Flugblättern. Doch geräumt wurde am Ende trotzdem. Längst wird am Sophienhof geshoppt statt demonstriert, und aus den Hausbesetzern von damals sind honorige Leute geworden. So honorig zum Teil, dass sie so tun, als wären sie nie dabei gewesen. „Das find‘ ich dann unanständig“, sagt Manfred Lang, der den alten Zeiten nur sehr begrenzt nachtrauert: „Ich habe nie besonders viel erwartet, also sind meine Erwartungen auch nicht großartig enttäuscht worden. Mir ging es darum, die Leute davor zu bewahren, eine Dummheit zu machen und wertvolle Bausubstanz zu vernichten. In der Hansastraße ist das gelungen, im Sophienblatt leider nicht.“ mag
Auf der Homepage der Stadt Kiel befasst sich auch die Historikerin Christa Geckeler mit der Geschichte der Hausbesetzungen im Sophienhof. Der schnellste Klick: Erst www.kiel.de eingeben, dann in der Suchfunktion oben links das Stichwort „Erinnerungstage“. (direkt)
Von Martin Geist