The Crooners und Distemper spielten in der Hansastraße 48 statt in der Alten Meierei
Dass es kein normaler Konzertabend ist, davon zeugen skandierende Gruppen und Polizeiaufgebot. Gegen „willkürliche Machtdemonstrationen“ der Stadt Kiel – wie es in einem Flugblatt heißt – protestiert ein Demonstrationszug, zu dem „NutzerInnenplenum“ und Freunde der Alten Meierei aufgerufen haben. Tatsächlich geht es um das von der Stadt Kiel jüngst ausgesprochene Veranstaltungsverbot, weshalb das heutige Konzert der Moskauer Ska-Legende Distemper von der Meierei ins Kulturzentrum der Hansastraße 48 verlegt werden musste. Dort findet sich dann auch ein entsprechendes Aufgebot ein, dem mit gewohnt moderaten Preisen der Eintritt erleichtert wird.
Erst als The Crooners beginnen, rauscht man in den Saal, der vorher nichts als gähnende Leere aufwies, weil die Demonstranten noch nicht eingetroffen waren. Und mit ersten gehackten Akkorden und frischem Bläsersatz mag man dann entspannt das springerstiefel-bewehrte Tanzbein schwingen. „You’re giving me a reason to live this life“, drückt der Frontmann mit an The Mighty Mighty Bosstones erinnernden kehligen Organ ins Mikro, während eine tight aufspielende Band zeigt, was in punkto technischer Finesse zusammengefügt werden kann. In The Middle Of The Street im Anschluss zeugt dazu von feinem Songwriter-Händchen, wobei man sich auf der anderen Seite des Eindrucks nicht erwehren kann, die Crooners hätten ein wenig Angst vor ihrem Plenum da vor der Bühne. Jeder der Musiker scheint ausschließlich mit sich selbst beschäftigt, und ein derartiger Umstand hat wohl noch nie eine Partyrakete gezündet.
Was sich mit Distemper schlagartig ändert. Die ehemalige Hardcore-Band gründete sich bereits Ende der Achtziger, erlangte mit den Jahren durch Ska-Einflüsse – und beißenden Bläsersatz – Kultstatus. Auch in Kiel beweisen Distemper, dass sie mit den Jahren noch besser geworden sind. Zwar wird auch in ihrem Fall Ska-Punk nicht neu erfunden. Doch es ist genau die richtige Mischung aus zackigen, tanzbaren Passagen und plötzlich einsetzendem Knüppelschlagzeug inmitten breiiger Verzerrungswände, die Distempers betont friedvolle Botschaft rüberkommen lässt – wobei die russischen Texte nur die wenigsten verstanden haben dürften. Doch während der Abend seinen Lauf nimmt, stellt sich natürlich die bange Frage, wie lange das Tauziehen um die Alte Meierei noch anhalten soll. Denn dass dieser Veranstaltungsort unter anderem aufgrund seines künstlerischen Engagements bleiben muss, davon legt die Auswahl dieses wundervollen Konzert-Acts namens Distemper einmal mehr Zeugnis ab.
Von Carsten Purfürst